Der Aktualisierungsraum Hamburg |
»Die wahre Methode, die Dinge sich gegenwärtig zu machen, ist, sie in
unserem Raum (nicht uns in ihnen) vorzustellen. (...) Die Dinge, so vorgestellt, dulden keine vermittelnde Konstruktion aus großen Zusammenhängen‹.«
Walter Benjamin, ›Das Passagen-Werk‹ (GS Bd. I, S. 273)
Der Aktualisierungsraum ist ein nicht–kommerzielles Kunst- und Ausstel- lungsprojekt in Hamburg, initiiert von Nina Köller (Berlin) und Kerstin Stakemeier (Hamburg). Er handelt von der Gegenwart derjenigen Vergan- genheit die unabgeschlossen blieb, und blickt zurück aus einem bestimmten Interesse: die Vergangenheit, soll nicht an die Gegenwart verloren gegeben werden. Stattdessen werden Fragmente der Vergangenheit im Raum aktualisiert.
Über einen Zeitraum von zwölf Monaten werden zwölf Künst- lerInnen, KünstlerInnengruppen, MusikerInnen und ProduzentInnen ohne Berufsgruppen eingeladen, je für einen Monat eine Aktualisierung zu realisieren. Ein Fragment wird aus der Geschichtsschreibung herausgegriffen
»Die Vergangenheit führt einen heimlichen Index mit, durch den sie auf die Erlösung verwiesen wird.«
Der Aktualisierungsraum zielt darauf, unausgeschöpfte Möglichkeiten wiederzubeleben und verhinderte Befreiungen mit neuer Gewalt auszustatten. Das zu rettende Fragment wird in ihm für einen Moment abgelöst von seiner Funktion für die herrschende Geschichtsschreibung, um andere Geschichtsschreibungen und andere Gegenwarten zu eröffnen. Die Aktualisierung bahnt vergessene Aussichten auf eine befreite Menschheit, auf alternative Ausgänge der Vergangenheit. Die Geschichte nicht verloren zu geben, ist das Ziel der Aktualisierung.
»Freilich fällt erst der erlösten Menschheit ihre Vergangenheit vollauf zu (...): erst der erlösten Menschheit ist ihre Vergangenheit in jedem ihrer Momente zitierbar geworden.«
Der Griff in Richtung der uneingelösten Vergangenheit bleibt gegenwärtig die einzige Alternative zur Resignation. Wo der revolutionierten Geschichte jeder Moment der Vergangenheit aktualisiert erscheinen würde, bleiben in der gegenwärtig unrevolutionierten Gegenwart nur Bruchstücke korrigierbar. Der Aktualisierungsraum isoliert solche einzelnen Fragmente. Die in ihm realisierten Projekte handeln von Elementen einer im Moment ausgesetzten Revolution. Walter Benjamin formulierte in seinem Text »Über den Begriff der Geschichte« eine Kritik des Fortschritts, die sich orientierte an der möglichen Rettung der Vergangenheit. Die Erlösung, von der er spricht, die Revolutionierung der Welt, wäre die ihrer Geschichte, eine fortgesetzte Aktualisierung ihrer Vergangenheit in der Gegenwart. Mit Benjamin wird nur diejenige Geschichte gerettet, die vergegenwärtigt wird, die von der Gegenwart angesprochen wird und so nicht passiv bleibt als blosses Mittel zur Rechtfertigung vergangener und gegenwärtiger Herrschaft. Von diesen Ankerpunkten in der Vergangenheit handelt der Aktualisierungsraum.
»Denn es ist ein unwiederbringliches Bild der Vergangenheit, das mit jeder Gegenwart zu verschwinden droht, die sich nicht in ihm gemeint erkannte.«
Gegen dieses Verschwinden soll gemeinsam im Aktualisierungsraum produziert werden. Ob in Text-, in Objekt- in Handlungs- oder in wechselnder Form, immer werden die aktualisierten historischen Einzelteile von ihrer Rolle in der herrschenden Geschichtsschreibung für einen Moment befreit. Sie wechseln ihren Status, werden zu Ausgangspunkten neuer Produktionen, neuer Geschichte. Es handelt sich nicht länger um bloße Referenzen auf vorhandene Ideen, sondern um deren eigenständige Weiterführungen. Egal ob sich dies auf ein Kunstwerk, eine wissenschaftliche Erfindung oder einen Song bezieht, das Ergebnis im Aktualisierungsraum ist eine Produktion die einen neuen roten Faden spinnt. Die Ziele des Aktualisierungsraumes sind die Rettungen verlorener Anfänge und die Eröffnungen neuer Ausgänge.
»Die Vorstellung eines Fortschritts des Menschengeschlechts in der Geschichte ist von der Vorstellung ihres eine homogene und leere Zeit durchlaufenden Fortgangs nicht abzulösen. Die Kritik an der Vorstellung dieses Fortgangs muss die Grundlage an der Kritik an der Vorstellung des Fortschritts überhaupt bilden.«
Der Aktualisierungsraum will die Möglichkeit herstellen mehr davon zu sehen, wo die Geschichte abbrach, wo sie keinen Sinn machte, wo sie ins Leere lief und wo sie verhindert wurde. Zu jedem Projekt werden Archive angelegt, Materialien zum Aktualisierten und zum Aktualisieren zusammengetragen und so Eintrag für Eintrag ein Netz aus konkreten Bestreitungen der Geschichte zusammengelegt. Jedes Projekt, jede Aktualisierung bestreitet, dass die Vergangenheit abgeschlossen ist und produziert sie von Neuem, als Gegenwart.
»Das Bewusstsein, das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen, ist den revolutionären Klassen im Augenblick ihrer Aktion eigentümlich. Die Große Revolution führte einen neuen Kalender ein. Der Tag, mit dem der Kalender einsetzt, fungiert als ein historischer Zeitraffer.«
Da eine gesellschaftliche Bewegung zur Revolution derzeit abwesend ist, und die Klasse, auf die Benjamin hoffte sich als Teil des herrschenden Systems statt als sein Gegner einrichtete, ist die Aktualisierung in der Gegenwart auf Fragmente beschränkt. Auf diese greift keine Klasse zu, sondern das individuelle Interesse an ihrer allgemeinen Rettung. Die Wichtigkeit der Fragmente leitet sich in der Aktualisierung nicht ab aus der Weltgeschichte wie sie geschrieben steht, sondern aus ihren Potentialen in der Gegenwart. Der Aktualisierungs-Raum beginnt mit einer Idee, mit einem Zitat und produziert von ihm aus neue Verbindlichkeiten. Vom Raum aus gehen historische und gegenwärtige Zusammenhänge, Objekte, Schriften, Arbeitstreffen, Veranstaltungen, Diskussionen. Von hieraus weiter. (nk/ks der anfang, 13.01.2007) |